Interview mit Professorin Stefanie Averbeck-Lietz

Seit Beginn des Sommersemesters 2023 bereichert Professorin Stefanie Averbeck-Lietz das Lehr- und Forschungsteam der Universität Greifswald. Als renommierte Wissenschaftlerin auf ihrem Fachgebiet hat sie bereits vielfältige Erfahrungen gesammelt und bringt ein umfangreiches Wissen in ihre Arbeit ein. Mit ihrer Expertise und ihrem Engagement trägt sie maßgeblich zur Weiterentwicklung der Universität und zur Förderung des akademischen Diskurses bei.

In unserem Interview mit Professorin Averbeck-Lietz haben wir die Gelegenheit genutzt, mehr über ihren beruflichen Werdegang, ihre Motivation sowie ihre ersten Eindrücke von der Universität Greifswald zu erfahren.

Vom Abitur nach Greifswald. Welche Stationen lagen dazwischen?

Ganz schön viele: Studium Uni Münster (Publizistikwissenschaft, Politikwissenschaft, Romanistik) mit dem Abschluss einer Promotion zur Zeitungswissenschaft in der Weimarer Republik. Medienpraktika (Westfalenblatt, Münstersche Zeitung, RTL, Sat1, ntv, tm3), Freie Mitarbeit (Radio Steinfurt, WDR Landesstudio Münster, Trainee Global Com PR Network München), aber dann doch viel lieber in die Wissenschaft: DAAD-Postdoc 1999 an der Universität Paris (Institut Français de Presse) und im gleichen Jahr die erste Assistentenstelle in der Wissenschaft an der Universität Leipzig bei Prof. Dr. Arnulf Kutsch in der Abteilung Historische und Systematische Kommunikationswissenschaft. In Leipzig dann 2005 Übernahme der Hochschuldozentur für Kommunikationssoziologie und -ethik. Im Jahr 2006 kam meine Tochter zur Welt, sie ist dann mit nach Zürich umgezogen für eine Vertragsprofessur 2008-9, dann die ganze Familie zurück nach Leipzig, danach Vertretungsprofessur in Münster (Pendeln mit Kleinkind) und Ruf nach Bremen 2011 auf eine Professur für Medienwandel und dort ansässig werden mit der ganzen Familie. Man kann also sagen: Das übliche Vagabund:innenleben in der Wissenschaft, dessen Nachteile man unter #IchbinHanna gut zusammengefasst findet…Dann kehrte erst einmal Stabilität ein und ich war in Bremen 11 Jahre lang als Professorin tätig.

Wieso hast du dich für die Universitäts- und Hansestadt Greifswald entschieden?

Ich kannte Greifswald schon und war hier 2009 schon einmal auf dem 3. Platz in einem Greifswalder Berufungsverfahren – bei der Bewerbung hat mich dieses Mal ganz besonders die Denomination des Lehrstuhls für Kommunikationsethik gereizt und ich freue mich darauf, den Lehrstuhl mit meinem Team, das ich hier aufbauen kann, zu gestalten und im Institut zu vernetzen. Auch kannte ich es aus Erzählungen von einem Freund, Stefan Wehmeier, der in Greifswald Professor war und leider inzwischen verstorben ist. Jetzt mitten im ersten Semester kann ich sagen: Er hat recht gehabt, nicht nur ist die Umgebung wunderbar, sondern auch die Studien- und Lehrbedingungen an einem Institut, das zwar stark nachgefragt ist, aber doch nicht die Last des Massenbetriebes in den großen Universitätsstädten hat und deshalb auch attraktiv für Studierende aus Berlin und Hamburg ist, wie ich in diesem Semester gelernt habe.

Wann wurde dir klar, was du werden möchtest? Wolltest du schon immer Professorin werden?

Nein, ganz sicher nicht. Ich wollte Journalistin werden und war es ja auch, aber Wissenschaft hat mir ab der Promotionsphase so viel Freude bereitet, dass ich angefangen habe, mich dann Ende der 1990er Jahre in der Wissenschaft zu bewerben, ich war da schon promoviert. Ich habe extern promoviert, ohne an einer Universität angestellt gewesen zu sein. Aber selbst da wusste ich kaum etwas über den Weg zur Professur. Ich kannte den Betrieb nicht von innen, ich war auch nie studentische Hilfskraft. Das Nahziel war erst einmal die Qualifikation (also die Habilitation) auf der Assitent:innenstelle. Die öffentliche Debatte über Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, die ja viel Unsicherheit unterhalb der Ebene der Professur mit sich bringen, gab es erst – jedenfalls so dass ich sie wahrgenommen habe – etwa ab 2002 mit dem Bologna Prozess und dem Gewahrwerden, dass Stellen in der Wissenschaft zunächst einmal meistens befristet sind und die Anzahl der Professuren, auf die man sich bewerben kann, nicht besonders hoch. Ich war da – vielleicht zum Glück – etwas naiv und habe es einfach gemacht, weil es mir Spaß gemacht hat. Aber damals war es auch im Journalismus nicht einfach: Bevor es Soziale Medien gab, war das ein Beruf, der stark überlaufen war, es war irre schwierig auch nur in die Nähe eines Volontariats zu kommen. Allerdings war das auch bald nicht mehr mein Ziel: Ich wollte forschen, nicht für den Tag und auch nicht für die Woche arbeiten wie ich es im Journalismus getan hatte.

Welche Erfahrungen oder Begegnungen haben deiner Meinung nach maßgeblich dazu beigetragen, dass du heute als Professorin an der Uni Greifswald bist?

Das kann ich gar nicht so genau festmachen, eher viele Begegnungen über viele Jahre; Vorbilder gab es wenige, weil als ich mit der Promotion im Jahr 1993 angefangen habe, es überhaupt kaum weibliche Professorinnen gab im Fach Kommunikationswissenschaft, das ist heute zum Glück anders. Als ich schwanger war (es gab noch keine Elternzeit im heutigen Sinne) kamen männliche Kollegen auf mich zu, gerade ältere und sagten: Das kriegst Du schon hin, ich habe auch eine Tochter und klar wird auch sie nicht aufhören zu arbeiten, wenn sie ein Kind bekommt. Allerdings war ich da auch schon fast vierzig, also der typische Fall: Späte Mutter in der Wissenschaft. Jetzt sind viele jüngere Kolleg:innen mit Kindern da, das finde ich sehr gut. Ich erinnere mich an ein Frühstück in einem Hotel bei einer Tagung mit einer älteren Professorin, da war meine Tochter vielleicht zwei. Sie sagte: „Ein Kind zu bekommen hätten wir uns in meiner Generation gar nicht getraut“. Das fand ich dramatisch und das hat mich zum Nachdenken bewegt. Es stimmt zum Glück nicht ganz, es gibt auch in der Generation vor mir Professorinnen mit Kindern. Wie sieht dein typischer Arbeitsalltag aus? So richtig typisch sind die eigentlich nicht, sondern eher nach Semester (Lehre, Lehrvorbereitung, Sprechstunden, Teambesprechungen), nach Semesterpause (mehr forschen, Konferenzen) und getaktet in der Spanne zwischen Gremientagen (akademische Selbstverwaltung) und Homeofficetagen (schreibend). Die Tage werden, wenn die Kinder nicht mehr klein sind, jedenfalls wieder „typischer“, Fachbücher und Hausarbeiten auf dem Spielplatz oder wartend beim Kinderschwimmkurs kommen nicht mehr vor. Im Semester sind die Tage oft lang, lesen und schreiben sind zeitintensive Tätigkeiten.

Welchen Aspekt der Arbeit mit Studierenden empfindest du persönlich als größte Bereicherung?

Zu lernen und zu beobachten wie junge Menschen mit dem Medienwandel umgehen – und wie sich das wiederum selbst verändert, derzeit in einem immer schnelleren Takt. Ich habe – unglaublich – beim Rundfunk noch mit Band geschnitten und aus Telefonzellen Liveschalten gemacht, hört sich an wie vor gefühlt 50 Jahren, sind aber nur 25. In dem Zuge: studentische Forschung zu begleiten (Hausarbeiten, BA-Arbeiten, MA-Arbeiten). Promotionsstudierende sehe ich nicht als Studierende, das sind junge Kolleg:innen, mit denen man in einem engen fachlichen Austausch steht; sie unterrichten ja auch oft selbst.

Was gefällt dir am meisten, wenn du an das Leben in Greifswald denkst?

Ich bin erst wenige Wochen da! Kurze Wege, fußläufig, das Meer nah und immer eine frische Brise, kreischende Möwen am Morgen. 7. Was sind die größten Herausforderungen, die dir im Job begegnen? Zeitmanagement, Zeitdruck, manchmal auch Zeitnot, gerade in früheren Zeiten als habilitierende Mutter mit Kleinkind. Aber auch zu sehen, welches enge Korsett die Wissenschaft und das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für die jüngeren Mitarbeiter sind (für mich selbst galt das ja auch schon), das erzeugt lange Jahre sehr viel Druck, man hat ja das nächste Stellenende immer vor der Nase. Speziell in der Kommunikationswissenschaft: der Medienwandel, dem man auch als Einzelforscher:in adäquat begegnen muss. Ich mache zwar viel Kommunikationsgeschichte, aber ich muss auch wissen, was KI bedeutet, wenn es um Fragen der Kommunikationsethik geht.

Dein Eindruck von HGW: Hauptsache Gegenwind oder herrlich gutes Wetter?

Beides! Und ich komme ja gerade frisch aus HB, von Hanse zu Hanse sozusagen. Und mir scheint man sagt auch hier Moin…

Was war bisher der lustigste Moment in deiner Arbeit als Dozentin?

Ohne Situationskomik geht da gar nichts. Man muss ja ständig vor Leuten stehen und braucht dafür eine Menge Geduld und muss auch über sich selbst lachen können. Also eher eine Kette von Momenten. Allerdings neige ich wohl zu einem Humor, dessen Beispiele sich eher auf die 1980er und 1990er beziehen, da bin ich dann wohl manchmal die einzige im Seminar, die das lustig findet ;-) Jedenfalls ist Lachen – und zwar miteinander – zentral für gute Kommunikation im Seminar.